Degenerative Myelopathie

Warum setzt der RZV den SOD-1-Test nicht für die Zucht voraus?


TEXT Kerstin Tiemann (Team Zucht) mit Unterstützung durch:
Peter Thome (Präsident)
Kirsten Wesche (Zuchtleiterin)
Sigrid Darting-Entenmann (Zuchtbuchführerin)
Elke Finke und Sabine Jacobs (Team Zucht)
FOTO Helga Jünkersfeld

Was ist Degenerative Myelopathie?
Bei der degenerativen Myelopathie handelt es sich um eine fortschreitende, nicht heilbare neurologische Erkrankung des Rückenmarks bei älteren Hunden unterschiedlicher Rassen und Mischlingen. Betroffen sind fast ausnahmslos Hunde ab einem Alter von 8-10 Jahren. Hauptsymptome sind Störungen der Bewegungskoordination. Diese treten zunächst an den Hinterläufen auf. Betroffene Hovawarte stolpern, fallen um und schleifen mit den Zehen. Harn- und Kotabsatz sowie der Rutentonus bleiben lange normal. Wenn die Hunde nicht mehr alleine aufstehen können bzw. nicht mehr gehen können, erfolgt bei großen Hunden in der Regel die Euthanasie.
In einer Studie zur Erforschung der menschlichen ALS aus dem Jahr 2008 wurde eine Mutation im SOD1-Gen mit dem Ausbruch der Erkrankung in Zusammenhang gebracht. Die bislang größte Studie stammt aus dem Jahr 2014 (Zeng et al2). – Immerhin waren unter den 33.000 Hunden auch 64 Hovawarte. Für nur einen Hovawart gab es einen histopathologischen Befund.

Im Jahr 2015 entdeckten Forscher der Universität Bologna, dass beim Hovawart eine weitere Mutation das Ergebnis des SOD1-Testes verfälscht, sofern sie vorhanden ist. – Und das ist sie bei etwa 26% der untersuchten Hovawarte gewesen. In der Vergangenheit wurden im Zusammenhang mit der Degenerativen Myelopathie emotionale Debatten geführt. Der RZV hat deswegen im Jahr 2018 etwa 2.400 Blutproben der Geburtsjahrgänge 2006, 2007 und 2008 auf die SOD1-Mutation untersuchen lassen und damit eine Gesundheitsumfrage verbunden. Damals hatte Laboklin als einziges Labor in Deutschland die Lizenz, kommerziell zu testen. Wir haben uns deswegen an die TiHo Hannover gewendet. Dort wurden die Blutproben ausgewertet und mit unseren Ergebnissen der Gesundheitsumfrage abgeglichen. In der Untersuchung wurde bestätigt, dass nicht alle Hunde mit dem SOD1-Befund A/A (DM/DM) erkrankt waren, einige lebten und waren laut Besitzer gesund. Leider war das die einzige Erkenntnis. Wir konnten leider die SOD1-Befunde der einzelnen Hunde nicht erfahren, da die TiHo den Test nur zu Forschungszwecken durchführen durfte.
Der RZV hat sich dafür entschieden, den SOD1-nicht als Zuchtvoraussetzung einzuführen, der HC hat seine Empfehlung zu Testen inzwischen relativiert, die HZD setzt den SOD1 voraus und gestattet nur Verpaarungen, aus denen kein reinerbiger Träger der SOD1-Mutation hervorgehen kann. Auch wenn nur in der HZD der SOD1-Test Voraussetzung der Zuchtzulassung ist – getestet wird auch im RZV. Es ist die Entscheidung des Züchters. Der RZV beurteilt den Test hinsichtlich seiner Aussage zu einer möglicherweise auftretenden Krankheit kritisch und setzt auf eine breite Zuchtbasis und die Vermeidung von Inzucht.

Warum setzt der RZV den Test nicht für die Zucht voraus?
> Das Auftreten einer DM kann durch den Mutations-Test nicht ausgeschlossen werden, d.h. auch Tiere, die mischerbig oder reinerbig für den Wildtyp sind, können eine DM entwickeln. Die Wahrscheinlichkeit beträgt für Hunde mit SOD1 n/n nur 1:6172 (Manz/Krawczak). Auch die Uni Bern informierte im Jahr 2018 darüber, dass 6% der Hunde mit SOD1 n/n an Degenerativer Myelopathie erkranken.

> Das Risiko an DM zu erkranken, liegt für reinerbige Mutationsträger rasseübergreifend im Mittel bei 0,741%, oder 1:135 (Manz/Krawczak). Dr. Pfeiffer hatte in ihrer Penetranzstudie 11% für den Hovawart errechnet. Angesichts der doch geringen Wahrscheinlichkeit und der Aussage, dass sowohl mischerbige und sogar Hunde mit SOD1 n/n an DM erkranken können, erschien und erscheint es bis heute nicht sinnvoll, das Ergebnis des bis heute für den Hovawart nicht validierten (entgegen anderslautender Behauptungen) Gentests für Paarungsplanungen zu verwenden.

Auch wenn der RZV derzeit keinen SOD1-Test als Zuchtvoraussetzung verlangt, werden viele Hunde getestet. Bitte melden Sie uns Ihre Testergebnisse! Sofern Ihr Hund den Befund „DM/DM“ erhält, machen Sie sich bitte keine zu großen Sorgen. Ihr Hund muss nicht zwingend an DM erkranken.
Es ist missverständlich und aus unserer Sicht ethisch nicht vertretbar, dass der Befund „DM/DM“ lautet. Viele Hundebesitzer sind dadurch schockiert und lesen das „Kleingedruckte“ dann nicht mehr. Unter jedem Befund steht, dass Hunde mit diesem Befund zwar ein erhöhtes Risiko tragen, aber noch weitere Merkmale vorhanden sein müssen, damit die Erkrankung ausbricht.

Aktuelle Zahlen
Seit dem Jahr 2000 wurden 10052 Hunde geboren. Von diesen Hunden sind 98 Hunde an Hinterhandschwäche mit Verdacht auf Degenerative Myelopathie erkrankt. Das entspricht 0,97 % der Hunde, die seit 01.01.2000 geboren wurden. Nur von 4 Hunden wissen wir sicher, dass sie wirklich an Degenerativer Myelopathie litten, denn nur von 4 Hunden gibt es einen histopathologischen Befund. Leider ist es nach wie vor so, dass die Diagnose DM nur durch eine pathologische Untersuchung nach dem Tod es Hundes festgestellt werden kann. Alle anderen Diagnosen sind nicht gesichert. Der SOD1-Befund ist keine Diagnose.

Histologisches Netzwerk zur Bekämpfung der Degenerativen Myelopathie
Es ist uns völlig klar, dass die Bereitschaft, einen geliebten Hund nach dem Tod in die Pathologie zu geben, kaum jemand erbringt. Dennoch wäre dies der einzige Weg, der uns bei der Bekämpfung der Erkrankung helfen könnte. Bislang kann die Diagnose Degenerative Myelopathie ausschließlich nach dem Tod eines Hundes festgestellt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass es nach dem Tod nur ein sehr kleines Zeitfenster gibt, denn das Nervengewebe, welches für die Diagnose untersucht werden muss, zerfällt sehr schnell.
Gemeinsam mit HZD und HC wird derzeit ein histologisches Netzwerk aufgebaut. Wir wollen damit Hovawartfreunde unterstützen, welche sich dazu bereit erklären, ihren Hund nach dem Tod untersuchen zu lassen. Dass diese Entscheidung sehr schwerfällt, ist uns allen bewusst. Und doch wäre es so wichtig.
Am 04.05.2021 fand ein Zoom Meeting zwischen Vertretern der 3 Hovawart-Zuchtvereine im Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH) statt. Der RZV wird in diesem Gremium derzeit durch Dr. Claudia Veit, Dr. Jens Kerl und Kerstin Tiemann vertreten. Die HZD hat ebenfalls mehrere Vertreter benannt und der HC hat einen Vertreter im Netzwerk.

Wir bitten die Besitzer von an Hinterhandschwäche erkrankten Hunden, unabhängig von einem SOD1-Test, sich einen Augenblick mit dem Gedanken, den Hund nach seinem Tod untersuchen zu lassen, zu beschäftigen. Wir wissen, dass der Gedanke belastend ist. Aber Sie würden damit einen wichtigen Beitrag dazu leisten, den möglichen Zusammenhang zwischen SOD1-Mutation und Degenerativer Myelopathie aufzuklären. Sie könnten dabei helfen, die Erkrankung, so selten sie derzeit auch ist, erfolgreich zu bekämpfen.
Inzwischen wurde das empfohlene Prozedere einmal angewendet. Die betroffenen Besitzer haben einen sehr empathischen Austausch mit der Klinik erlebt. Wir sind derzeit im Gespräch mit Tierkliniken und Praxen, welche diese Untersuchung durchführen. Die Bedingungen sind leider nicht überall gleich.
Wenn Sie Fragen haben oder weitere Informationen benötigen, können Sie sich gerne an mich als Vertreterin des RZV im Histologischen Netzwerk wenden. Ich werde Sie mit den notwendigen Informationen versorgen. Gemeinsam finden Sie vielleicht einen Weg, der Ihnen diesen schweren Weg wenigstens etwas erleichtert. Die Kosten für eine pathologische Untersuchung bei Verdacht auf Degenerative Myelopathie werden weitgehend über unseren Solidaritätsfonds abgedeckt.

Abschließend möchten wir Sie bitten, alle möglicherweise erblichen Erkrankungen Ihrer Hunde zu melden. Bitte melden Sie die Erkrankung Ihres Hundes so schnell wie möglich. Diese Informationen fließen dann sofort in Paarungsplanungen ein und Sie leisten so einen wichtigen Beitrag zur Gesundheit unserer Hunde. Sie finden den Fragebogen auf unserer Website durch einen Klick auf Fragebogen Gesundheit und regelmäßig in unserer Zeitschrift DER HOVAWART.


Beitrag eingestellt durch presse.olnds

Süße Hovawart Hunde