Zuchtprüfungen | Teil 2
Die Jugendbeurteilung
Obwohl in der Bezeichnung der Veranstaltung der Begriff „Prüfung“ gar nicht vorkommt, handelt es sich aber bereits um eine Zuchtprüfung. Das heißt, man kann auch durchfallen. Und es passiert aus den unterschiedlichsten Gründen auch immer mal wieder, dass Hunde in der Beurteilung des Erscheinungsbildes oder in der Überprüfung des Wesens nicht bestehen.
TEXT: Kerstin Tiemann (RZV-Team Zucht) FOTOS: RZV-Archiv
WARUM EINE JUGENDBEURTEILUNG?
An einer Jugendbeurteilung können Hunde ab dem angefangenen 12. Lebensmonat bis zur Vollendung des 2. Lebensjahres teilnehmen. Die Altersbegrenzung besteht, weil die Jugendbeurteilung im Wesensteil auf dem Parcours andere und auch weniger Stationen enthält als die ZTP. Hovawarte sind Spätentwickler. Zwischen erstem und zweitem Lebensjahr sind viele Hovawarte mitten in der Pubertät. Das wird bei den Stationen im Parcours der Jugendbeurteilung berücksichtigt. Eine bestandene Jugendbeurteilung gilt als eine vollwertige Zuchtprüfung. Neben der Teilnahme an einer Schau (ab Zwischenklasse) und der Augen- und HD-Untersuchung ist dann nur noch eine bestandene Zuchttauglichkeitsprüfung (ZTP) für die Zuchtzulassung erforderlich.
Anhand des Verhaltens bei einer Jugendbeurteilung können Besitzer und Körmeister Erkenntnisse gewinnen, wie es um das Wesen und das „Nervenkostüm“ eines Hundes bestellt ist. Auch in der Jugendbeurteilung fallen Hunde durch, wenn sie ängstlich oder aggressiv sind, oder beim Schuss Fluchttendenz zeigen. Außerdem muss eine Mindestanzahl von Punkten (54 von 75) erreicht werden. Wird die Mindestpunktzahl nicht erreicht, kann der Hund erneut zu einer Jugendbeurteilung oder einer Zuchttauglichkeitsprüfung (die er dann bestehen sollte) vorgestellt werden.
ERSCHEINUNGSBILD
Hat Ihr Hund an der Nachzuchtbeurteilung teilgenommen und wurden dort keine Merkmale festgestellt, die sich zu einer nicht mehr tolerierbaren Abweichung vom Standard entwickeln könnten, besteht Ihr Hovawart wahrscheinlich auch bei der Jugendbeurteilung im Erscheinungsbild. Hat Ihr Hund einen weißen Brustfleck oder anderswo weiße Haare, wird bei der Jugendbeurteilung überprüft, ob das Merkmal so stark ausgeprägt ist, dass es zum Zuchtausschluss führt. Weiße Striche auf dem Kopf oder an der Kehle bzw. ein Brustfleck, der sich bis hinter/unter die Achseln ausbreitet, führen zum Zuchtausschluss; weiß am Bauch oder an den Innenschenkeln ebenso.
Die Rute und die Rutenhaltung werden ebenfalls beurteilt. Wird bei einem Hund bei der JB eine Auffälligkeit festgestellt, muss die Rute geröntgt werden, um zu klären, ob die Veränderung an der Rute z.B. aus einer Verletzung resultiert oder ob es sich tatsächlich um eine Fehlbildung eines oder mehrerer Wirbelkörper handelt. Bevor die Rute geröntgt wurde, kann keine Zuchtgenehmigung erteilt werden. In der Datenbank wird ein Verdacht auf Rutenanomalie eingetragen, der besteht, solange kein Attest vorliegt. Bitte wenden Sie sich an die Zuchtbuchstelle, um das Formular „Röntgenuntersuchung Rute“ zu erhalten. Die Begutachtung der Rute erfolgt durch einen erfahrenen Gutachter und kann, wie auch die Beurteilung der HD-Aufnahmen, einige Zeit in Anspruch nehmen. Sofern die Hüfte des Hundes noch nicht geröntgt wurde, kann man beide Untersuchungen gemeinsam durchführen lassen. Bei der Jugendbeurteilung werden die Körpermaße Ihres Hovawarts erfasst. Neben der Widerristhöhe und dem Umfang des Röhrbeines werden bei der JB auch Brustbreite und Brusttiefe, Brustumfang und Körperlänge gemessen. Daraus bildet sich der Typwert.
NUTZEN FÜR DEN HOVAWART
Der Hovawart – vor allem die Rüden, wachsen zu einer stattlichen Größe heran. Je größer der Hund, desto größer ist auch das Problem, wenn das Wesen des Hundes als ängstlich zu bezeichnen ist. Ängstliche und/oder aggressive Hovawarte dürfen nicht in die Zucht. Das Wesen ist zwar immer eine Kombination aus genetischer Veranlagung, Erfahrungen und Erziehung des Hundes, aber ein Hund mit einem von Hause aus dünnen „Nervenkostüm“ hat es schwerer. Leider geschehen die meisten Unfälle mit Hunden aus Unsicherheit des Hundes dann, wenn er aus der Unsicherheit mit aggressivem Verhalten reagiert oder zum Beispiel an Silvester aus Panik davonläuft.
WESENSBEURTEILUNG
Wir wünschen uns lebhafte, selbstbewusste Hovawarte mit guter Bindung an ihre Menschen. Das Wesen beurteilen wir auch bei der JB einerseits mit dem Verhalten des Hundes bei der Überprüfung des Erscheinungsbildes (umfangreiches Messen, Zähne zeigen) und andererseits im Parcours beim Spielen mit dem Besitzer und einer Fremdperson. Wir wollen wissen, ob der Hund mutig ist und sein Spielzeug auch aus einem Haufen Plastikflaschen holt. Außerdem kann der Hund seinen Beutetrieb demonstrieren, seine Gelassenheit in einer Menschengruppe unter Beweis stellen und Nervenstärke zeigen, wenn er nach optischen und akustischen Reizen (‚seiner Merkwürdigkeit‘ – dem Pilzsammler, einer sich nähernden Figur auf einem Schlitten, einem plötzlich erscheinenden Overall, einer Rasselkette und einem Schuss) wieder mit seinem Besitzer spielt, als wäre (fast) nichts gewesen.
Je nachdem, wie alt ein Hund bei der JB ist und welches Stadium der Pubertät er gerade durchläuft, verhalten sich die Hunde vollkommen unterschiedlich. Wichtig ist, dass sie reagieren und dass sie ein Verhalten zeigen, welches man als normal erwarten darf. Es ist vollkommen normal, dass sich ein Hund erschreckt. Es ist auch normal, dass ein Hund vorsichtig ist. Auch Bellen oder Knurren ist normal. Nicht normal ist aber zum Beispiel, dass ein Hund eigentlich schon darauf wartet, dass der Overall endlich nach oben gezogen wird und sofort im Umfeld ein Leckerchen sucht (weil der Parcours mehrfach geübt wurde und es doch immer eins gab). Dieses Verhalten ist untypisch und ein sicheres Zeichen für einen geübten Hund. Untypisches Verhalten kann durch die Körmeister mit entsprechend wenig Punkten bewertet werden. Streng genommen ist das Üben des Parcours Betrug an der Zucht. Die Prüfungsaufgaben im Vorfeld schon zu kennen, ist vielleicht verführerisch. Bleiben Sie trotzdem ehrlich. Geben Sie Ihrem Hund die Chance, in der Jugendbeurteilung zu zeigen, wer er ist und wie er ist. Ungeübt.
Nochmal: Erschrecken, vorsichtige Annäherung – alles kein Problem! Es sagt viel über den Hund und seinen Umgang mit solchen Situationen aus. Problematisch wird es nur, wenn ein Hund so ängstlich reagiert, dass er vielleicht sogar zu fliehen versucht oder wenn der Hund seine Problemlösung in aggressivem Verhalten sieht. Beides führt zum Abbruch der Prüfung.
DURCHGEFALLEN! WIE KONNTE DAS PASSIEREN?
Das kommt in den besten Familien vor. Wie eingangs erwähnt, fällt die Zeit für die Jugendbeurteilung in ein „schwieriges Alter“. Aus eigener Erfahrung mit meinen Hovis weiß ich, dass in der Pubertät alltägliche Eindrücke an einem Tag völlig ignoriert werden und am
nächsten Tag plötzlich zur potenziellen Bedrohung avancieren können und entsprechende Reaktionen hervorrufen. Bei uns waren es die gelben Wertstoffsäcke mitten in der Nacht. Es war ein bisschen Wind und einer bewegte sich über die Straße. Eine tödliche Gefahr!?
– Großes Bohei in finsterer Nacht! Als Mensch: Ruhe bewahren. Unbedingt Nachgucken mit dem Hund! Erkenntnis: Doch nicht der Leibhaftige im gelben Sack (und auch keine Katze). Ungewöhnliche Sache – aber ungefährlich.
Der nächste Sturm, wieder gelbe Säcke. Interesse und Neugier ja – kein Bohei! Körmeister kennen Hovawarte und ordnen Verhalten und Reaktionen richtig ein. Kein Körmeister möchte Ihren Hund durchfallen lassen.
Wenig Gnade haben Sie jedoch zu erwarten, wenn Ihr Hund sich auch in einem Alter von über 12 Monaten weder anfassen lassen möchte noch die Zähne angeschaut werden können. Ist das Messen nur möglich, wenn Ihr Hund massiv gehalten werden muss, dann stehen die Sterne auch für den Parcours oft nicht günstig.
DIE VORBEREITUNG AUF DIE JUGENDBEURTEILUNG
Sorgen Sie dafür, dass Ihr Hund viele Erfahrungen machen kann. Achten Sie darauf, dass Ihr Hund diese Erfahrungen selbst macht. Ermutigen Sie ihn, Dinge zu untersuchen. Gehen Sie, wenn Ihr Hund zögert, voran. Zeigen Sie Ihrem Hund, dass die vermeintliche Bedrohung gar keine ist. Locken Sie Ihren Hund nicht mit Leckerchen! Sie bewerten damit einen Sachverhalt hoch und der Hund könnte lernen, dass es sich um eine große Sache handelt, wenn Sie ihn für etwas entlohnen. In der JB dürfen Sie das auch nicht. Ist Ihr Hund gewöhnt, an fremde Situationen mit Leckerchen herangeführt zu werden, dann wird er Sie in der JB anschauen und sein Blick bedeutet:
a) Wenn er schlau ist: ‚Warum sollte ich mich ohne Lohn in tödliche Gefahr begeben, Alte/r)?‘
b) Wenn er Angst hat: ‚Lieber nicht! – Es gibt keinen Grund, sich in Gefahr zu begeben‘.
Spielen Sie mit Ihrem Hund. Spielen fördert die Bindung. Achten Sie darauf, dass Ihr Hund Menschen kennt und weiß, dass man sich von Ihnen anfassen lassen muss, wenn Sie als Besitzer das wollen. Kein Hund muss sich gerne anfassen lassen. Jeder sollte es tolerieren. Niemals dar ein Hund auf Berührung aggressiv reagieren und beißen. Ohne Wenn und Aber! Sich Anfassen lassen ist die Grundausstattung Ihres Hundes – das dürfen Sie üben und das sollten Sie auch tun.
FÜR MEHRHUNDEHALTER
Unter den Hunden, die bei JB oder ZTP durchgefallen sind, ist der Anteil der Hunde, die in der Gemeinschaft mit einem oder mehreren, meist älteren Hunden leben, auffällig hoch. Daher sollten Sie, wenn Sie Ihren Hund zur JB oder später zur ZTP vorstellen, dafür sorgen, dass Ihr Hund auch sicher ist, wenn er mit Ihnen allein unterwegs ist und Situationen auch ohne die älteren Hunde auflösen und meistern kann. Unternehmen Sie mit dem jungen Hund Spaziergänge und Ausflüge ohne die anderen Hunde – wenigstens, bis der Hund die Sicherheit hat, dass er nicht nur in einem Rudel bestehen kann.
DIE GUTE NACHRICHT
Die meisten Hunde bestehen. Die Besitzer staunen oft, wie gut ihre Hunde die Situationen meistern, wie wenig problematisch ein Schuss oder allgemein ‚sich erschrecken‘ ist. Ein schönes Gefühl – ich spreche aus Erfahrung.
Und noch eine gute Nachricht: Selbst, wenn mal eine Prüfung nicht bestanden wurde – es gibt eine zweite Chance.
JUGENDBEURTEILUNG – So geht’s:
Mindestalter des Hundes: Beginn des 12. Lebensmonats bis zur Vollendung des 2. Lebensjahres.
Kosten: 30 €.
Wo finden Jugendbeurteilungen (JB) statt und wie kann man sich anmelden?
In unserer Veranstaltungsliste finden Sie u.a. alle Termine zu Zuchtprüfungen. Anmelden können Sie ihren Hund bequem online mit diesem Formular.
Besitzer:in des Hundes muss Mitglied im RZV sein.
Lesen Sie zu diesem Thema auch Die Zuchttauglichkeitsprüfung | Die Nachzuchtbeurteilung
Beitrag eingestellt durch presse.olnds