Lebershunt – was nun?
Ein Erfahrungsbericht
Lebershunt – natürlich wussten Jens Kerl und seine Frau Susanne als ehemalige Züchter theoretisch, was das ist. Aber mit ihrer blonden Ida vom Schnutetunker (HC) hatten sie auf einmal selbst einen betroffenen Hund. Wie sie zur richtigen Diagnose kamen, welche Behandlungsmethode zur Verfügung stand, und warum die gefährliche Erbkrankheit nicht den sicheren Tod bedeuten muss, lesen Sie in diesem Beitrag..
TEXT und FOTOS Jens Kerl
Von unserer letzten Hündin, Antonia vom Ameker Strand, mussten wir uns schweren Herzens im Juni 2021 verabschieden. Die Schwarzmarkene war an DM erkrankt und die Hinterhand zeigte starke Lähmungserscheinungen. Sie sollte den nächsten Schritt – die Lähmung der Atemmuskulatur – nicht erleben müssen. In unserem damaligen Verein, dem Hovawart-Club e.V., stand bereits ein Wurf bei uns gut vertrauten Züchtern an, bei dem eine blonde Hündin zur Welt kommen könnte. Unser Wunsch für Antonias Nachfolgerin. Und tatsächlich fiel in dem Wurf genau eine blonde Hündin. Wir hatten Glück und bekamen den Zuschlag: Ida vom Schnutetunker zog im September 2021 bei uns ein.
WELPENZEIT NICHT UNBESCHWERT
Wir waren glücklich. Welpengruppe, Sozialisation und alle Dinge, die den heranwachsenden Hovawart mit seiner Umwelt und seinen Artgenossen vertraut machen, durchlebten wir mit Ida. Doch es gab Unterschiede zu den Hovawarten, die wir in den 38 Jahren zuvor schon gehabt hatten: Ida war quasi nachtaktiv und musste auch nach Monaten nachts
zum Pinkeln raus. Dafür verbrachte sie den Tag im Tiefschlaf. Füttern war von Beginn an ein Problem. Nur die stressige Umstellung? Schon eine Woche nach der Übernahme mussten wir mit ihr zum Tierarzt wegen heftiger Verdauungsprobleme. Sie mochte nicht fressen, wir versuchten mit Tricks, ihr das Futter schmackhafter zu machen. Knabberstangen wurden sofort hinter den Sofakissen verbuddelt. Leckerchen? Keine Chance.
Manchmal rieb sie ihren Kopf an der Wand entlang. Das konnten ja nur Ohrenprobleme sein – dachten wir. Auch guckte sie uns manchmal mit gesenktem Kopf an, als würde sie uns nicht erkennen, beim Üben konnte sie sich schwer konzentrieren und wirkte entwicklungsverzögert. Fassten wir sie vor allem am Kopf an, schien ihr das oft unangenehm zu sein. In der Welpengruppe verhielt sie sich auffällig ruhig.
EINE SCHRECKENSNACHRICHT
Als die Welpen fünf Monate alt waren, kam von der Züchterin der traurige Hinweis, bei einem Bruder sei ein schwerer Herzfehler festgestellt worden. Da Herzerkrankungen oft erblich sind, wollten wir das bei Ida auch abklären lassen. Beim anstehenden Impftermin waren ungewöhnliche Herzgeräusche zu hören. Ein Termin bei einer Hunde-Kardiologin in Ahlen ergab im Dezember 2021, dass bei Ida die Aorten- und Pulmonalklappen undicht sind und im Aortenbogen grenzwertig hohe Strömungsgeschwindigkeiten erreicht werden. Die Kontrolle des Befundes im Alter von neun Monaten und einem Jahr wurde empfohlen. Wir waren untröstlich und verabschiedeten uns natürlich vom Zuchtwunsch, aber immerhin musste diese Symptomatik erst einmal nicht behandelt werden. Ida sei normal belastbar, hieß es. Puh!
Im Januar 2022 dann der nächste Schreck: Bei einem Spaziergang kippte Ida einfach um. Ein plötzlicher Tonusverlust der Skelettmuskulatur, der aber sofort rückläufig war, so dass Ida gleich wieder aufstand und weitergehen konnte.
Das wiederholte sich im Februar und März. Die Tierärztin tippte aufs Herz. Die nächste kardiologische Untersuchung bestätigte den Vorbefund, blieb aber ohne Hinweis auf eine Ursache für die sogenannten Synkopen. Anfang Mai 2022 erlebten wir im Garten schließlich einen heftigen großen Krampfanfall bei Ida, der sich über Minuten hinzog. Schrecklich!
Ein Herzanfall? Epilepsie? Die Synkopen waren wohl Vorläufer gewesen. Eine Elektrolytverschiebung, wie die Haustierärztin meinte? Die Bestimmung der Blutwerte erbrachten darauf keine Hinweise. Wir entschlossen uns, mit Ida die Epilepsie-Experten der Tierärztlichen Hochschule Hannover zu konsultieren.
ABENTEUER DIAGNOSE
Im Juli 2022 sollte Ida nüchtern nach Hannover kommen. Die anstehende nächste kardiologische Untersuchung sollte gleich mit erledigt werden, was bei einem Termin zu machen war. Der Tag begann mit der neurologischen Untersuchung. Zu unserem Erstaunen waren alle diese Tests unauffällig. Nichts, was den Epilepsie-Verdacht bestätigte. Dann die kardiologische Untersuchung. Bei Ida wurde dabei erstmals Blutdruck gemessen und der war zu niedrig. Immerhin ein Erklärungsansatz für Synkopen, die bei plötzlichem Blutdruckabfall auftreten können. Insgesamt ergab sich aber eine Befundverbesserung bzgl. der Herzklappen und der Strömungsgeschwindigkeit in der Aorta. Ich fragte dann, wozu Ida denn nüchtern bleiben sollte, obwohl die Tierärzte doch keine einzige Untersuchung unter Sedierung durchführen mussten. Sie bräuchten noch einige Blutlaborwerte vom nüchternen Hund, die im Standard-Labor nicht enthalten seien, lautete die Antwort. Okay. Also wurde noch Blut abgenommen und ins hauseigene Labor geschickt.
Als ich nach sechs Stunden zurück fahren wollte, kam die Nachricht, die Laborwerte wären soeben eingetroffen. Also nochmal zur Befundbesprechung ins Arztzimmer. Ich bekam erklärt, Ida hätte weit über normal erhöhte Blutkonzentrationen von Ammoniak und Gallensäure. Das deute auf einen Lebershunt hin. Ein Lebershunt – bei unserem Hund? Unglaublich!
Die Ärztin erläuterte weiter, dass sämtliche (!) Symptome, die wir bereits an Ida beobachtet hätten, ganz schlüssig auf diese Diagnose hindeuteten. Alles Folgen der hohen Ammoniak-Konzentration im Blut, die zu einer fortschreitenden Selbstvergiftung des Gehirns führen …
IN NARKOSE ABSICHERN
Die Verdachtsdiagnose wolle man gerne in einer nächsten Untersuchung absichern. Dazu müsste Ida ein weiteres Mal nüchtern vorgestellt werden, um unter Sedierung die zu- und abführenden Gefäße der Leber per Kontrastmittel im Schichtröntgen (CT) darzustellen. Den Folgetermin konnten wir schon zwei Wochen später wahrnehmen. Und der bestätigte alles und zeigte zusätzlich die Lage und den Durchmesser des Überbrückungsgefäßes (Shunt), was für eine mögliche Therapie von großer Bedeutung ist.
Ida hatte einen sogenannten intrahepatischen Shunt, typisch für große Hunde, bei dem das Shuntgefäß innerhalb der Leber selbst liegt. Der Durchmesser betrug 11 mm. Bei dieser Größe würden, so die grobe Schätzung, 90 Prozent des vom Darm kommenden Blutes an der Leber vorbei geleitet und somit nicht gereinigt. Besonders das bei Protein-Verdauung freigesetzte Ammoniak wird somit nicht herausgefiltert und erzeugt die besagten neurologischen Nebenwirkungen. Da wir der Kostverächterin Ida aus purer Verzweiflung jeden Tag eine gekochte, eiweißreiche Bio-Hühnerbrust unters Trockenfutter gemischt hatten, war der Krampfanfall wohl von uns provoziert worden – Glück im Unglück, denn nur so kamen wir den Ursachen auf die Spur. Die Tierärzte trug uns auf, sofort das Futter umzustellen – auf die „Hepatic“-Sorte eines großen Futtermittelherstellers. Dazu Lactulose, welche die Verweildauer des Nahrungsbreis im Darm verkürzt. Das wirkte Wunder: Ida fraß nicht nur erstmals in ihrem Leben gerne, sondern es ging ihr auch deutlich besser. Hühnerbrust ade!
OPERATION ALTERNATIVLOS
Wir wussten inzwischen, dass sich Shunts nur operativ verschließen lassen. Leider in Idas Fall nicht in Hannover, wo nur außen an der Leber liegende, sogenannte extrahepatische Shunts operiert werden können. Die einzige deutsche Einrichtung für den Verschluss intrahepatischer Shunts: die Uni-Tierklinik Gießen. Deren ernüchternde Auskunft: frühester Termin in vier Monaten! Und das, obwohl die Überlebenszeit nach Erstdiagnose eines Lebershunts im Mittel nur zehn Monate beträgt. Davon sollten wir jetzt vier Monate mit Warten zubringen? Schrecklich!
Doch wir hatten keine Wahl: Ich sagte den Termin sofort zu und ließ uns zusätzich auf eine Nachrücker-Liste setzen. Wir mussten Ida also irgendwie durch Sommer und Herbst 2022 bringen. Ida musste die besagte strikte Leberdiät einhalten. Omeprazol musste noch hinzu kommen, auch zur optimalen Vorbereitung von Ida auf die OP. Entwurmung war verboten. Anti-Zecken-Spot-ons konnten wir wegen der schlechten Leberfunktion auch nicht anwenden. Ein Anti-Zecken-Halsband war laut der Experten vertretbar. Ida vertrug das neue Futter so gut, dass sie in der Wartezeit bis zur OP sogar ihr altersgerechtes Normalgewicht erreichte – eine für die OP extrem günstige Voraussetzung. Dank der Futterumstellung kamen keine neurologischen Auffälligkeiten mehr vor.
OP-ZIEL COIL-EMBOLISATION
Ende November 2022 war es soweit: Wir mussten unsere tapfere Ida nach Gießen bringen. Die Tierklinik Hannover hatte vorab alle Befunde nach Gießen gemailt, so dass wir direkt zur Aufnahmeuntersuchung kamen. Bis zu zehn Tage alleine in der Tierklinik standen Ida bevor. Besuche streng verboten! Und das mit 16 Monaten …
Die stundenlangen Aufnahmeuntersuchungen des Lebershunt-Teams, bei denen wir nicht dabei sein durften, verliefen zufriedenstellend, so dass wir Ida an jenem Freitag dort lassen konnten. Am Wochenende sollte sie sich auf der Station eingewöhnen und auf die OP vorbereitet werden, die für den nachfolgenden Montag angesetzt war. Und dann war es soweit.
Die OP ist ein Katheter-Eingriff unter Narkose. Der Zugang erfolgt über die große Halsvene. Am Hals wird das Fell großzügig freirasiert und an der Einstichstelle desinfiziert. Man setzt eine Schleuse ein, die einen mehrfachen Wechsel der verwendeten Katheter ermöglicht. Zuerst wird ein Ballonkatheter in das Shuntgefäß eingeführt und gleichzeitig ein Drucksensor in die Leber. Der Ballon wird jetzt aufgepumpt, um das Shuntgefäß komplett zu verschließen. Der Drucksensor in der Leber zeigt den nun steigenden Druck im Lebergefäßsystem an. Wenn der Druck gewisse Grenzwerte überschreitet, darf der Shunt nicht sofort verschlossen werden, weil es sonst zu Leberblutungen kommen kann. Das war bei Ida leider der Fall. Der nächste Schritt ist trotzdem immer gleich: Der Katheter wird ins Shuntgefäß eingeführt, mit dem eine Spirale (Coil) darin freigesetzt wird, die sich eng innen an die Gefäßwand anlegt. Die Spirale ist beschichtet mit gerinnungsförderndem Material und klebt sofort an der Gefäßwand fest. Im Normalfall ist damit alles getan. Die Gerinnung (Embolisation) geht im Shuntgefäß damit zügig voran und es ist schnell verschlossen.
KOMPLIKATIONEN BEI IDA
Bei Ida leider nicht. Insofern wurde schon unter der OP hochdosierter Gerinnungshemmer verabreicht, was an der Zugangsstelle am Hals zu einer riesigen Gewebeblutung führte. Der Hals droht zuzuschwellen. Akute Erstickungsgefahr! Das ging aber nochmal gut – ohne künstliche Beatmung per Tubus. Mit dem hohen Blutungsrisiko blieb Ida aber insgesamt fünf Tage statt der üblichen drei Tage auf der Intensivstation, auch musste sie länger in der Klinik bleiben als ohne Komplikationen üblich. Wir bekamen jeden Wochentag einen Telefonanruf und einen Bericht über ihren Zustand. Es ging aufwärts! Ging es ihr seelisch gut? Ja, Ida arrangiere sich mit der Situation. Jeder Hund auf der Station hätte eine Tierpflegerin oder eine Tiermedizinstudentin zur Betreuung an die Seite, die ihn auf dem Klinikgelände ausführen würde, sobald möglich. Ida freue sich immer, jemanden zu sehen und läge, als sie nicht mehr verkabelt über Monitor überwacht wurde, oft auf dem Rücken schlafend in ihrem Bereich – unser braver Junghund, der weder Hundebox noch Zwinger kannte!
Nach elfeinhalb Tagen konnten wir sie endlich abholen. Wir sollten ein Geschirr mitbringen, um Druck auf die Halswunde auszuschließen. Ein dick wattierter Halsverband trug dazu bei, die Wunde bei unserer „Bluterin“ zu schützen. Als Ida von einer Tierärztin zu uns vor die Tür der Klinik geführt wurde, wirkte sie, als hätte sie nicht mehr geglaubt, uns jemals wiederzusehen … Sie stutzte, erkannte uns endlich und dann gab es kein Halten beim Freuen mehr! Noch ein Lösespaziergang außerhalb des Klinikgeländes, dann ging es endlich heim.
NACHBETREUUNG ZU HAUSE
Für zu Hause bekamen wir den weiterhin notwendigen Gerinnungshemmer mit. Der musste nun Woche für Woche herunterdosiert und nach fünf Wochen abgesetzt werden. Das sollte der Leber Zeit verschaffen, sich langsam an den steigenden Blutdruck und Blutfluss zu gewöhnen. In den fünf Wochen nach der OP konnte die Leber also die Festigkeit der Gefäßwände erhöhen und neue Gefäße wachsen lassen, bevor nach Absetzen des Gerinnungshemmers das Shuntgefäß schließlich komplett verschlossen sein sollte. Spielen mit Artgenossen war in dieser Zeit tabu.
Im März 2023 waren wir zur Nachuntersuchung in Gießen. Bei der Besprechung sagte der Tierarzt die magischen Worte: „Sie haben jetzt einen lebergesunden Hund!“ Kein Blutfluss war durch das Shuntgefäß mehr nachweisbar und der Gallensäure-Test bestätigte ebenfalls, dass die Leber gelernt hatte, vollkommen normal zu arbeiten. Die Herzklappen sind zwar immer noch undicht, aber nach wie vor nicht behandlungsbedürftig. Der Hund dürfe normal belastet werden. Von jetzt an hätte Ida eine normale Lebenserwartung, hurra! Nächste Nachuntersuchung: März 2025.
WIE LAUTET UNSER FAZIT?
Die Geschichte von Ida zeigt, welche Symptome bei einem Hovawart auf einen Lebershunt hindeuten könnten. Die gute Nachricht: Die Rettung ist dank fantastischer Tierärzte möglich. War das Ganze nicht unheimlich teuer? Ja. Insgesamt hat Idas Lebershunt mit den Vor- und Nachuntersuchungen sowie die OP rund 11.000 € gekostet. Plus der reinen Kardiologentermine. (Wir haben keine Hundekrankenversicherung. Normalerweise schließen Versicherungen die Kostenübernahme für erbliche Erkrankungen im Vertag aus.) Das erscheint viel, aber ein solcher Eingriff ist eben nur mit Spezialkathetern im Rahmen eines stationären Aufenthalts mit Intensiv-Überwachung und hoher Expertise des Behandlungsteams möglich. Auch das Team der THU Hannover war bei der Diagnostik total engagiert und jeden Cent wert. Solche tollen Einrichtungen in Deutschland zu haben, ist keine Selbstverständlichkeit.
Wir würden es immer wieder tun! Der Lohn ist ein fröhlicher Hovawart, der uns ganz viel Freude macht.
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