Die Sprechstunde: Das Hundeohr

Hunde mit Ohrenproblemen gehören zum Alltag in Tierarztpraxen

Von harmlos und banal bis zu schwerwiegend oder chronisch kann alles dabei sein. Ohne die Ursache zu ermitteln ist eine erfolgreiche Therapie unmöglich. Deshalb geht es in dieser Folge der „Sprechstunde“ um die Gesundheit der Ohren und um häufige Erkrankungen.


TEXT Dr. Claudia Veit FOTOS Helga Jünkersfeld, RZV-Archiv, msd

Gilt immer: Bringen Sie Ihrem Hund bei, sich untersuchen zu lassen

Die meisten Hunde empfinden die Untersuchung ihrer Ohren als unangenehm, bei entzündeten Ohren auch schmerzhaft. Wenn ein Patient derartige Manipulationen nicht wenigstens mit Maulkorb duldet, kann er entweder gar nicht untersucht werden oder er bekommt dazu eine Narkose. Es ist  schlicht unmöglich, bei einem zappelnden, schreienden und um sich beißenden Hund eine gründliche Untersuchung durchzuführen. Selbst bei einem Chihuahua kommt man da schnell an die Grenzen des Machbaren, erst recht bei einem ausgewachsenen Hovawart. Unkooperative Hunde lassen sich erfahrungsgemäß nach der Diagnosestellung auch daheim nicht mit Ohrentropfen behandeln. Und was nützt die beste Diagnose, wenn die Therapie nicht durchführbar ist?

Bringen Sie Ihrem Hovawart von Anfang an bei, dass er sich untersuchen lässt. Die Taschenbücher „Keine Angst beim Tierarzt“ von Sabrina Reichel, „Vier gewinnt: Kooperationstraining für Hunde“ von Celina del Amo oder „Medical Training für Hunde: Körperpflege und Tierarzt-Behandlungen vertrauensvoll meistern“ von Anna Oblasser-Mirtl und Barbara Glatz helfen dabei. Auch viele Hundeschulen und Tierarztpraxen bieten „Keine-Angst-vorm-Tierarzt“-Kurse an. Wenn Ihr Haustierarzt das nicht offensiv bewirbt, fragen Sie ihn danach. Langfristig ist es für alle Beteiligten besser und viel angenehmer, wenn ein Hundepatient bei Untersuchungen kooperiert.

Das gesunde Hundeohr

Das Stehohr ist die ursprüngliche, natürliche Form der Ohrmuschel (Pinna). Es kommt bei Wölfen, Füchsen und anderen wildlebenden Hundeartigen vor. Auch viele Hunderassen haben Stehohren  (z.B. Akita Inu, Deutscher Schäferhund, Huskie, Kelpie, Spitz u. a.).

Die Bewegung dieser stehenden Ohrmuscheln wird bewusst kontrolliert. Sie können gespitzt, abgeknickt, nach hinten gelegt und erstaunlich variantenreich verformt werden. Das Hörvermögen wird optimiert, indem die Ohröffnung wie ein Trichter der Schallquelle zugewendet wird. Außerdem drücken Hunde mit ihren Ohrmuscheln auf vielseitige und sehr differenzierte Art Stimmungen und psychische Verfassungen aus. Dieser Teil des Kommunikationsverhaltens ist bei schlappohrigen Rassen stark eingeschränkt bis vollkommen unmöglich. (Man denke an die schweren Behänge eines Bassetts oder eines Clumber Spaniels. Die fliegen allenfalls im Wind, eine kontrollierte Bewegung findet so gut wie nicht statt).

Die Gehörgänge verlaufen beim Hund erst senkrecht nach unten und knicken dann etwa im 90-Grad-Winkel ab. Auf der Abbildung des Ohrmodells ist das gut zu sehen. Nach dem Knick geht es dann – wie bei uns Menschen – horizontal weiter bis zum Trommelfell. Im äußeren Teil stützen Knorpel und Bindegewebe den Gehörgang, im Schädel verläuft er in einem knöchernen Kanal. Je nach Größe, Schwere und Fell behindern Hängeohren und dichtes Haar in den Gehörgängen die Belüftung und Selbstreinigung der Gehörgänge.

Der abgeknickte Verlauf der Gehörgänge hat zwei Konsequenzen: Zum einen sind deswegen Ohrenthermometer bei Hunden grundsätzlich nicht zum Fiebermessen geeignet. (Bei uns Menschen mit unseren kurzen und gerade horizontal verlaufenden Gehörgängen wird die Bluttemperatur hinter dem Trommelfell gemessen. Beim Hund misst ein Ohrenthermometer die Temperatur der Gehörgänge, und die liegt deutlich niedriger als die Körperkerntemperatur.)

Zum anderen benötigt man spezielle Instrumente (auf der Abbildung des Ohrmodells ist der Otoskoptrichter zu sehen) und muss das Ohr etwas nach oben ziehen, um den gesamten Gehörgang bis zum Trommelfell einzusehen.

Das im knöchernen Gehörgang aufgespannte Trommelfell trennt das äußere Ohr vom Innenohr. Es bildet zusammen  mit der sogenannten Ohrtrompete und den in der Paukenhöhle (Bulla tympanica) liegenden Gehörknöchelchen das Mittelohr. Dieses ist über die dem Druckausgleich dienende Eustachische Röhre mit dem Rachen verbunden.

Die Hammer, Amboss und Steigbügel genannten Gehörknöchelchen übertragen die aufs Trommelfell treffenden Schallwellen zum Innenohr. Das eigentliche Hörorgan heißt Schnecke oder Cochlea. Von dort aus werden Impulse über den Hörnerv (Nervus cochlearis oder Nervus acusticus) zum Gehirn übertragen. Außerdem liegt im Innenohr das sogenannte Labyrinth, das für den Gleichgewichtssinn wichtig ist.

Gesunde Hundeohren sind „selbstreinigend“. Öle, Pflegemittel, Ohrreiniger und Spüllösungen haben in den Gehörgängen grundsätzlich erst einmal nichts zu suchen. Anders ist das bei Erkrankungen der Ohren – je nach Ursache verordnen Tierärzte und Tierärztinnen geeignete Präparate.

Erkrankungen der Ohren 

Ohrkrankheiten können angeboren oder erworben sein, akut oder chronisch, werden durch Krankheitserreger (z.B. Parasiten, Bakterien, Pilze) ausgelöst oder treten im Zusammenhang mit anderen Krankheiten auf (z.B. Diabetes mellitus, Hypothyreose, Allergien).  

Taubheit

Manche Hunderassen sind von erblicher Taubheit betroffen. Vor allem Rassen mit weißen Köpfen (u.a. Bullterrier, Dalmatiner) oder mit einem „Merlefaktor“ genannten Gendefekt.

Verschiedene Erkrankungen der Ohren, der Hörnerven und des Gehirns können zur erworbenen Taubheit führen. Wenn ein Gehörgang voller Ohrmilben, Ohrmilbenkot und Entzündungssekreten ist, erreichen die Schallwellen von außen kaum noch das Innenohr. Schwerhörigkeit oder Taubheit können die Folge sein. Auch durch Entzündungen eng zugeschwollene oder chronisch verdickte oder durch Polypen oder Tumoren verlegte Gehörgange beeinträchtigen das Hörvermögen. Chronische Erkrankungen (Bluthochdruck, Diabetes mellitus), bestimmte Arzneimittel (ototoxische Medikamente wie Gentamycin oder manche Krebsmedikamente), Durchblutungsstörungen und Einwirkungen von Lärm wirken sich ebenfalls negativ auf das Gehör aus.

In fortgeschrittenen Lebensphasen tritt oft eine sogenannte Altersschwerhörigkeit ein (die im Alltag nicht immer einfach von Altersstarrsinn zu unterscheiden ist).

Grannen

Ein typisches Saisonproblem im Sommer und Herbst sind Grannen. Diese borstigen, regelrecht mit Widerhaken bestückten Gras- und Getreidesamen fallen mit dem schwereren Samenkörnchen voran in den Gehörgang. Typischerweise fängt ein betroffener Hund während oder kurz nach dem Spaziergang an, heftig den Kopf zu schütteln. Eine Kopfschiefhaltung und eine Verkrampfung der Ohrmuschel kommen dazu. Dummerweise verhindern die gespreizten harten Borsten, dass die Granne durch Kopfschütteln wieder aus dem Ohr hinausbefördert wird. Im Gegenteil, sie bohrt sich immer tiefer! Wird sie nicht rechtzeitig vom Tierarzt aus dem Gehörgang entfernt (notfalls in Narkose), kann sie sich bis durchs Trommelfell bohren.

Auf der Abbildung ist ein Ohrmodell zu sehen, in dem eine Granne im horizontalen Teil des Gehörgangs liegt (Bild zum vergrößern anklicken).

Verletzungen

Die Ohrmuscheln können u.a. durch spitze oder scharfkantige Dinge wie Äste, Dornen oder Stacheldraht sowie bei Autounfällen und Beißereien verletzt werden. In der Regel bluten solche Verletzungen sehr stark. Schmerzbedingtes Kopfschütteln verstärkt die Blutung.  Nach Möglichkeit sollte deshalb schon für den Weg zum Tierarzt ein provisorischer Kopfverband angelegt werden. Lassen sie sich das in einem Erste-Hilfe-Kurs oder bei Ihrem Tierarzt zeigen.

Oberflächliche Wunden heilen ohne tierärztliches Eingreifen. Schwerere Verletzungen erfordern chirurgische Maßnahmen. Ist der Ohrknorpel ebenfalls verletzt, muss mit Komplikationen gerechnet werden. Manchmal kann eine Ohrmuschel nicht erhalten werden, dann liegt die medizinische Indikation zum Kupieren vor.

Tumoren

Überall im Körper kann Krebs entstehen. Tumoren der Ohrmuscheln und Gehörgänge sind beim Hund selten. Sie rufen je nach Lokalisation und Ausmaß unterschiedliche Symptome hervor.

Parasiten

Hunde leiden seltener als Katzen und Frettchen an Ohrmilben  (Otodectes cynotis). Der parasitenbedingte Juckreiz verursacht vermehrtes Kopfschütteln, Kopfschiefhaltung und Kratzen an Kopf, Hals und Ohren. Typischerweise sieht man ein dunkles, krümeliges, kaffeesatzartiges Sekret in den Gehörgängen. Neben Ohrenschmalz besteht dieses Sekret vor allem aus dem Kot der Milben. Die benutzen die Gehörgänge nämlich wie ein „Wohnklo“. Die weißen, beweglichen Milben sind mithilfe eines Otoskops gut zu erkennen.

Ohrmilben sind für andere Tiere und auch für Menschen ansteckend.

Zum Glück ist die Behandlung heutzutage durch akarizide Mittel einfach. Tabletten oder SpotOns, die auch zur Behandlung von Zecken eingesetzt werden, töten die Ohrmilben schnell ab. Die begleitende lokale Behandlung der Gehörgänge mit entzündungshemmenden Tropfen und die Reinigung der Gehörgänge von toten Milben, Kot und Entzündungssekreten beschleunigt die Heilung.

Gehörgangentzündung (Otitis externa)

Einer der häufigsten Vorstellungsgründe in der Tierarztpraxis ist die  Entzündung des äußeren Gehörgangs. Erkrankte Hunde halten je nach Schwere der Krankheit und individueller Empfindlichkeit den Kopf schief und schütteln ihn auffallend häufig, kratzen sich an Hals, Kopf und Ohren bis hin zur Selbstverstümmelung, sind „kopfscheu“ (wollen nicht am Kopf berührt werden), jammern oder winseln, wehren sich gegen das Überstreifen des Halsbandes. Ihre Ohren sind rot, geschwollen, tun weh und riechen unangenehm.

Für eine erfolgreiche Behandlung ist es bei Erkrankungen der Ohren enorm wichtig, prädisponierende (anfällig machende), primäre, sekundäre und perpetuierende (unterhaltende) Faktoren zu identifizieren. Eine dauerhafte Heilung gelingt nur, wenn alle Aspekte berücksichtigt werden.

Durch Abstriche und Tupferproben für bakteriologische Untersuchungen samt Antibiogramm identifiziert man die beteiligten Erreger. So können sie gezielt behandelt werden. Meist setzt man Biofilm-lösende Ohrreiniger und antibiotische oder antimykotische Tropfen in Kombination ein. Der Ohrreiniger wird eine halbe Stunde vor den Tropfen reichlich ins Ohr geträufelt, damit sich Ohrenschmalz und Entzündungssekrete lösen und durch Schütteln aus dem Gehörgang entfernt werden. Anschließend können die Ohrentropfen ihre Wirkung besser entfalten.
Bei sterilen Entzündungen und allergisch bedingten Otitiden helfen entzündungshemmende, juckreizstillende Ohrentropfen ohne Antibiotika und Antimykotika.
Wichtig ist es, mögliche Grunderkrankungen zu behandeln (u.a. Diabetes mellitus, Hypothyreose und Allergien).

Allergien

Bei chronisch-rezidivierenden Gehörgangentzündungen muss immer an eine Grunderkrankung gedacht werden. Die alleinige Therapie der wiederkehrenden, sekundären Infektionen mit Bakterien oder Hefepilzen führt nicht zur dauerhaften Heilung, wenn diese Grundursache nicht behoben ist. Neben Mittel- und Innenohrentzündungen sind das am häufigsten Allergien. Selbst einseitige Otitiden können allergiebedingt sein. Typische Allergiesymptome wie Durchfall, Juckreiz an den Pfoten oder Ekzeme kommen nicht immer gleichzeitig vor.

Leider gibt es keine zuverlässigen Tests für Futtermittelallergien. Am erfolgversprechendsten sind strenge Allergiediäten. Über wenigstens acht bis zwölf Wochen wird entweder eine Ausschlussdiät aus einer einzigen, möglichst bisher unbekannten Eiweißquelle („Single Protein“) mit einer einzelnen Kohlenhydrataufbau verfüttert oder hydrolysiertes Futter, bei dem das Immunsystem die Quelle der  verfütterten Nahrungsbestandteile nicht mehr erkennt. Single-Protein-Futter gibt es in unterschiedlicher Qualität. Bei den Fertigfuttern funktionieren Tierarztdiäten am besten. Optimal sind selbst gekochte Ausschlussdiäten (bei Welpen und wachsenden Hunden immer mit Rationsberechnung, z.B. durch www.futtermedicus.de oder www.napfcheck.de ).

Mittelohrentzündung (Otitis media)

Bei Mittelohrentzündungen sind Trommelfell, Paukenhöhle und Gehörknöchelchen erkrankt. Starke Behaarung im Gehörgang, Schwellungen oder Entzündungssekrete erschweren den Blick auf das Trommelfell und so die Diagnose der Otitis media. Sie kann als perpetuierender Faktor immer wieder in den Gehörgang ausstrahlen. Auf Röntgenbildern kann man Verschattungen der Paukenhöhle erkennen. Allerdings sind gut gelagerte Röntgenaufnahmen des Schädels nur in Narkose möglich.

Innenohrentzündung (Otitis interna)

Typische Symptome einer Innenohrerkrankung sind Kopfschiefhaltung, Schmerzen, Übelkeit, Gleichgewichtsstörungen und Kreislaufen. Manchmal zucken auch die Augen (Nystagmus). Diese Symptome treten auch beim Geriatrischen Vestibularsyndrom auf, das bei alten Hunden durch Durchblutungsstörungen oder Entzündungen hervorgerufen wird.

Othämatom

Als sogenanntes Blutergussohr bezeichnet man eine Ansammlung von Blut oder blutig-seröser Flüssigkeit in der Ohrmuschel. Die normalerweise flache Pinna füllt sich dadurch teilweise oder vollständig und kann prall werden wie ein Ballon. Nicht immer äußern die Patienten Schmerzen, aber oft schütteln sie den Kopf vermehrt. Ursache ist i.d.R. nicht das vom Besitzer vermutete Trauma, sondern ein autoimmuner Prozess.

Neben der Punktion der Ohrmuschel zum Ablassen des Blutergusses werden immunmodulierende Medikamente in die Pinna injiziert und/oder systemisch verabreicht. Nicht immer heilt das Othämatom schon nach einmaliger Punktion ab. Manchmal muss es mehrmals abgelassen oder sogar operiert werden. Unabhängig von der Art der Therapie können narbige Zusammenziehungen des Knorpels die Ohrmuscheln regelrecht verkrüppeln. Das lässt sich bei Hunden mit lang behaarten Ohrmuscheln kosmetisch besser kaschieren als bei kurzhaarigen Rassen.


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Süße Hovawart Hunde