Vergiftung bei Hunden

Botulinumintoxikation – eine verkannte tödliche Gefahr

(Ein Fallbericht)

Als Besitzer eines einjährigen Hovawart Rüden möchte ich über den Krankheitsverlauf unseres Hundes berichten. Dies vor allem deshalb, weil zahlreiche Gespräche mit Hundebesitzern aber auch die Erfahrungen mit den Tierärzten zeigten, dass die Intoxikation ausgelöst durch das Botulinumtoxin entweder nicht bekannt oder aber aus dem Bewusstsein verdrängt ist.


TEXT und FOTOS Dr. med. Jürgen Malchow

Zunächst möchte ich den zeitlichen Ablauf darstellen und werde dann die medizinischen Hintergründe näher erläutern. An dieser Stelle muss ich erwähnen, dass mir als Arzt und Anästhesist die pathophysiologischen Abläufe dieser Erkrankung vertraut sind. Mit meinen jetzigen Erfahrungen möchte ich auch abschließend einige Empfehlungen geben, die vielleicht für zukünftige Fälle bedeutend sein könnten.

1. Tag: Meine Frau und ich fahren mit unserem vollkommen gesunden Hund namens Zulu in den Urlaub Richtung Süden. Beim abendlichen Gassigehen über eine Weide frisst er etwas, es ist unklar ob es ein Teil von einem Kuhfladen ist oder etwas anderes.

2. Tag: Bei einer Wanderung verlässt Zulu den Weg. Beim Zurückkommen bergaufwärts fällt uns erstmalig auf, dass der Hund Mühe hat über kleinere Absätze zu gelangen, da die Hinterbeine zu schwach sind sich kräftig abzustoßen. Zulu ist auch nicht mehr in der Lage, alleine in das Wohnmobil einzusteigen. Die zwei Stufen sind für ihn ein unüberwindbares Hindernis. Immer öfters macht er schon nach kurzen Distanzen Pausen und setzt oder legt sich.

3. Tag: Zulu kann nicht mehr auf den Hinterbeinen stehen. Laufen ist nicht mehr möglich, er robbt auf dem Boden, den passiven hinteren Körperteil hinter sich herziehend. Erster Kontakt zu einem Tierarzt im Ausland: V.a. Herzwurminfektion. Dieser Verdacht begründet sich vor allem auf die zu langsame Herzfrequenz.

4. Tag: Zu der bestehenden Symptomatik fällt auf, dass der Hund beim ohnehin seltenem Bellen kaum einen Ton hervorbringt und vermehrt Speichel aus dem Maul läuft. Zusätzlich auffälliges Hecheln. Vorstellung bei einem anderen Tierarzt: Röntgen der Hüften und der Wirbelsäule sind unauffällig, die Sonographie der Bauchorgane zeigt keine krankhaften Veränderungen aber eine nur zu einem Drittel entleerte Blase, obwohl Zulu auf dem Untersuchungstisch spontan Urin abgesetzt hat. Der Verdacht auf einen Bandscheibenvorfall mit kompletten Ausfall der Hinterbeine und Störung der Blasenfunktion wird nach einer ausgiebigen klinischen Untersuchung geäußert. Die Blase wird manuell ausgepresst.

5. Tag: Keinerlei Anzeichen einer Verbesserung. Zunehmende Schwäche beim Sitzen, die Vorderpfoten rutschen auf dem relativ glatten Boden des Wohnmobils immer wieder nach vorn. Sichtbare Koordinationsstörungen der Vorderpfoten beim Fixieren von Gegenständen.

6. und 7. Tag: Heimfahrt. Zustand wird nicht schlechter, aber auch nicht besser. Mit Hilfe von Lactulose (Abführmittel) spontanes Lösen. Durch manuelle Stimulation mittels Druck auf die Blase auch spontanes Wasserlassen.

8. Tag: Vorstellung beim Haustierarzt. Verdachtsdiagnose Bandscheiben-Faser-Embolie des Rückenmarks oder High-Speed Bandscheibenvorfall. Ein klassischer Bandscheibenvorfall erscheint eher unwahrscheinlich aufgrund des Alters und der fehlenden Schmerzsymptomatik. Ein MRT ist für die Bestätigung der Verdachtsdiagnosen absolut notwendig

9. Tag: Unveränderter Zustand. d.h. schlaffe Lähmung der Hinterbeine, fast stimmloses Bellen, keine Schmerzen, normales Trink-und Fressverhalten. Normales Bewusstsein. Massive Atrophie besonders der Kaumuskulatur und der hinteren Rumpf- und- Beckenmuskulatur. Neben den Dornfortsätzen ist kaum noch die normale Muskulatur, sondern in der Tiefe die Querfortsätze der Wirbel tastbar. Manuelles Ausräumen des Enddarms und Stimulation der Blase durch manuelles Drücken ist von Zeit zu Zeit notwendig.

Zulu bei der Interferenzstrombehandlung

10. Tag: Vorstellung unseres Hundes in der Neurologischen Abteilung der Klinik für Kleintiere der Universität Leipzig. Aufgrund des Verlaufs, der Krankengeschichte und der klinischen Symptomatik Verdacht auf Polyneuroradikulitis, in der Humanmedizin Guillain-Barre-Syndrom genannt. Die in Narkose durchgeführten Untersuchungen (EMG, Liquorpunktion) erhärten zunächst den Verdacht, das EMG zeigt die muskulären Ausfälle bzw. die Schwäche an allen Extremitäten (!), der Liquorbefund ist unauffällig. Das Röntgenbild des Brustkorbs zeigt eine Aspirationspneumonie (Verschlucken von Nahrung in die Lunge) des linken Oberlappens. Weitere Laborwerte wurden abgenommen, für die Ergebnisse sind mehrere Tage notwendig. Aufgrund eines fehlendes Fortschreitens der Erkrankung ambulante Betreuung. Kontrolltermin in 2 Wochen. Prognose – Heilung in mehreren Wochen bis Monaten möglich. Verordnung von Antibiotika aufgrund der Lungenentzündung und Gabe von Kalymin- ein Enzymblocker, Wirkung wird noch näher erläutert.

15. Tag: Anruf der betreuenden Tierärztin in Leipzig. Mit höchster Wahrscheinlichkeit ist unser Hund erkrankt an einer Botulinumintoxikation, da die Antikörper gegen das biologische Gift namens Botulinum, eher bekannt als Botox, deutlich erhöht wären. Unsererseits Erleichterung, nun hat die Tragik einen Namen und eine Intoxikation ist in dieser Situation ein berechenbares Übel, da es nun die Hoffnung auf eine vollständige Heilung gibt.

Insgesamt vergehen 4 Wochen einer von mir genannten „Robbenphase“. Meine Frau und ich schlafen bei unserem Hund. Früh heraustragen von Zulu und Absetzen auf der Wiese. Jedes Mal große Freude, wenn der Hund sich löst und spontan Urin lässt. Zulu schafft auch schon mal 30 – 40 m durch das Grundstück zu robben.
Nach 4 Wochen beginnt die von mir genannte „Häschenphase“. Zulu bewegt sich einem Hasen gleich und beginnt zu hoppeln. Er ist aber nicht in der Lage, das Becken mittels der Hinterbeine nach oben zu drücken. Diese Phase hält ca. 2 Wochen an. Danach schafft es Zulu plötzlich, das Becken aufzurichten und wieder auf vier Beinen zu stehen, erste hölzerne Schritte werden vollzogen. Innerhalb von wenigen Tagen wird der Gang wieder geschmeidiger und die Ausdauer länger. Die atrophische Muskulatur besonders im Kopfbereich erholt sich relativ rasch. Nach ca. 8 Wochen erkennen nur noch Experten die Atrophie der Becken-Oberschenkelmuskulatur.

Zusammenfassend zeigt der Verlauf, dass ein absolut gesunder junger Hund innerhalb von wenigen Tagen schwer erkrankt ohne erkennbare Ursachen. Auch drohte wohl die komplette Lähmung der Atemmuskulatur (Aspirationspneumonie, starkes Hecheln) mit letalem Ausgang bei vollem Bewusstsein, da das Gift nicht die Blut-Hirnschranke überwinden kann. Das Botulinumtoxin, auch als Botulinum-Neurotoxin, Botulismustoxin, Botulinum oder auch als Botox als Handelsname für die medizinisch therapeutische Anwendung bekannt, ist das stärkste biologische Gift. 1 g ist die letale Dosis für 10 Millionen Menschen!

Das Toxin wird durch Bakterien, genannt Clostridium botulinum (Abb.->), produziert. Ähnlich dem Tetanuserreger Clostridium tetanie kommen diese Bakterien vor allem im Erdboden und Gewässerschlämmen vor und erzeugen Endosporen, eine Überlebensform des Bakteriums, die gegen zahlreiche Umweltreize widerstandsfähig sind. Chemisch unterscheidet man 7 Toxintypen, die unterschiedlich auf Mensch und Tier wirken, für Hunde gefährlich ist das Botulinumtoxin C. Das Toxin ist ein Eiweißkomplex bestehend aus 2 Ketten, einer leichten und einer schweren. Hier ist vor allem interessant, dass die leichte Kette die lähmende Wirkung entfaltet, die schwere Kette jedoch die leichte Kette gegen den Säureangriff im Magen schützt und die Aufnahme der leichten Kette in die Nervenzellen vermittelt. Das Toxin führt zu einer Hemmung der Erregungsübertragung von Nerven auf die Muskelzellen. Hier muss man wissen, dass Nerv und Muskelzelle über einen schmalen Zwischenraum, genannt synaptischer Spalt, getrennt sind. Die eintreffenden elektrischen Impulse der Nerven führen zu einer Freisetzung einer chemischen Substanz. Diese Transmittersubstanz nennt man Acetylcholin. Des Weiteren ist erwähnenswert, dass es sich hier nicht um einen On-Off Effekt handelt, sondern unterschiedliche Schwächungsgrade der Muskulatur bis zur kompletten Lähmung auftreten können. Die Hemmung betrifft nicht nur die willkürlich gesteuerte Muskulatur, sondern auch die unwillkürlich gesteuerte Muskulatur im Darm und der Blase. Die Wirkung des Toxins wird durch Neubildung neuer Synapsen (2 – 3 Wochen) sowie durch Reaktivierung der ursprünglichen Synapsen aufgehoben (8 – 16 Wochen). Hier lässt sich schon ableiten, dass ein geduldiger und langsamer Trainingsaufbau des Hundes erfolgen muss.
Über die Vergiftung der Hunde gibt es verschiedene Theorien. Nach meinen Recherchen im Internet werden vor allem die Gefahren von frisch aufgebrachter Gülle, die sogenannte Geflügeleinstreu auf den Feldern sowie die unterschiedlichen Wild- und Haustiere als Bakterienreservoir diskutiert. Besonders die in der Gülle enthaltenen Kadaver (ertrunkene Mäuse oder Ratten in den bäuerlichen Güllegruben) oder die Kadaver von Eintagsküken in der Geflügeleinstreu gelten als idealer Nährboden für das Wachstum der Botulinumbakterien. Vielleicht kann der ein oder andere
Leser dieses Artikels noch detailliertere Hinweise für die unterschiedlichen Übertragungswege geben. Nach Angaben der Neurologen der Kleintierklinik der Universität Leipzig werden ca. 10 Botulinumintoxikationen im Jahr durch sie behandelt!

Zulu und Frauchen blicken positiv in die Zukunft

Welche Feststellungen und Empfehlungen lassen sich nun aus dem zwar tragischen, aber doch glücklich endenden Krankheitsverlauf unseres Hundes ableiten?

Die Botulinumintoxikation ist fast allen Hundebesitzern unbekannt und gehört bei den meisten Tierärzten nicht zum täglichen diagnostischen Repertoire. Bei einem so einschneidenden und raschen Krankheitsverlauf muss immer die bedrohlichste Diagnose ausgeschlossen werden.
Bei den auftretenden Lähmungserscheinungen sowie den Begleitsymptomen bei unserem Hund (Unfähigkeit des Bellens, Speichelfluss durch Schluckstörung, starkes Hecheln, Koordinationsstörungen und Schwäche der Vorderbeine, langsamer Herzschlag) wird hoffentlich jeder Leser dieses Artikels bei künftigen Fällen auf den Ausschluss einer Vergiftung durch Botulinum drängen oder als Behandler die entsprechenden diagnostischen Maßnahmen einleiten. Vor allem die Schmerzfreiheit ist nahezu ein Ausschlusskriterium für einen anzunehmenden Bandscheibenvorfall. Gegen eine Infektion im Sinne einer Entzündung des Nervensystems sprachen die normale Körpertemperatur und das Fehlen schwerer Krankheitssymptome wie Nahrungsverweigerung, Schläfrigkeit, gestörte Reaktion auf Umweltreize.
Wird der Verdacht einer Botulinumintoxikation gestellt und der Krankheitsverlauf ist fortschreitend, muss schnellstens eine veterinärmedizinische
Einrichtung aufgesucht werden, die in der Lage ist, spezielle diagnostische Verfahren wie EMG, Liquorpunktion und Röntgen des Thorax durchzuführen, den Hund zu überwachen und gegebenenfalls auch zu beatmen.
Unbedingt muss kontrolliert werden, ob der Hund regelmäßig Urin und Stuhl absetzt. Das Abtasten der Blase, gegebenenfalls die Ultraschall-Untersuchung durch den Tierarzt sind notwendig, um Harnwegsinfekten vorzubeugen. Bei Problemen der regelmäßigen Stuhlentleerung sollten Laxantien verordnet werden, gegebenenfalls muss das Rektum auch manuell entleert werden.
Größere physiotherapeutische Behandlungen ergeben keinen Sinn, da die Impulsübertragung vom Nerv auf die Muskulatur blockiert ist. Gelähmte Extremitäten sollten passiv durchbewegt werden um Gelenksversteifungen vorzubeugen, dies kann jeder Hundebesitzer selbst durchführen.

Zu beachten ist allerdings, dass wie in unserem Fall z.T. eine Berührungsüberempfindlichkeit der gelähmten Extremitäten auftreten kann und der Hund mit scharfen Abwehrreaktionen reagiert. Ein vorsichtiges Vorgehen ist angebracht!

Der erkrankte Hund sollte immer im Sitzen fressen, um mögliche Aspirationen in die Lunge zu verhindern. Die Regeneration und Reaktivierung des Nervensystems kann unterstützt werden durch die Verabreichung orthomolekularer GESUNDHEIT Substanzen, in unserem Fall verabreichten wir Q10, Magnesium, Selen. Bei Gabe von Antibiotika empfiehlt es sich zum Schutz der Darmflora Probiotika zu geben.
Absolut empfehlenswert ist die Einnahme von Kalymin. Dieses Präparat hemmt die Cholinesterase, ein Enzym welches die Transmittersubstanz Acetylcholin abbaut. Durch die Hemmung wird im synaptischen Spalt die Menge des noch vorhandenen Acetylcholins gesteigert und die Impulsübertragung auf die Muskulatur stabilisiert.
Die Betreuung eines so rasant schwer erkrankten Hundes bedarf viel Kraft und Geduld. Besonders die Ungewissheit vor Diagnosestellung war für uns auch psychisch sehr belastend, da natürlich die Angst vor einer bleibenden Schädigung bestand (geäußerter Verdacht auf Rückenmarksembolie). Umso wichtiger ist es deshalb auch, eine größere veterinärmedizinische Einrichtung aufzusuchen, um schnellstens zu einer Diagnose zu gelangen. Das
durchgeführte EMG (Messung der Muskelreaktionen auf elektrische Stimulation) war hier wegweisend, die Bestimmung der Antikörper gegen das Botulinumtoxin der Schlüssel zur Diagnose und adäquaten Therapie. Besonders der Faktor Zeit spielt eine große Rolle, jede überflüssige Diagnostik kann zu einem letalen Ausgang führen. Die Vermutung liegt nahe, dass es immer wieder ähnliche Verläufe mit Fehldiagnosen gab.
Abschließend möchte ich mich, auch im Namen meiner Frau, bei allen „Mitleidenden“ bedanken, die uns mit ihren Worten, Hinweisen und therapeutischen Möglichkeiten unterstützt haben, auch das ist Therapie! Unser besonderer Dank geht an das Team der neurologischen Abteilung der Kleintierklinik der Universität Leipzig.


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Beitrag eingestellt durch presse.olnds

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