Die Königsdisziplin

Der Sport für den Gebrauchshund Hovawart

Für IGP-Fans ist es keine Frage, welches die beste, anspruchsvollste, ja angemessene Sportart für den Gebrauchshund. Von den drei Sparten ist der Schutzdienst die spektakulärste – und für Nicht-Fans die umstrittenste: „Die machen die Hunde scharf.“ Was ist dran am Schutzdienst?
Heiko Drechsler (Lehrhelfer und Leistungsrichter im RZV) hat sich Zeit genommen, unsere Fragen zum Schutzdienst und dem Wert der IGP-Prüfung zu beantworten.


INTERVIEW Dr. Anja Meiser FOTOS Sandra Langheim, Helga Jünkersfeld

Warum sollte ich Schutzdienst machen mit meinem Hovawart?

Das sollst du gar nicht. Entweder es packt einen oder eben nicht. Mit 10 Jahren war ich mit einem Freund auf dem Hundeplatz. Der Riesenschnauzer, mit dem wir immer spielten, wurde gearbeitet. Er wurde auf die lange Flucht geschickt, der Boden vibrierte unter meinen Füßen, und der Hund packte den Helfer am Hetzarm, der auch die Schulter bedeckte. Das war damals noch so. Die Energie der Hunde zu spüren, sie fördern, schauen, wie sie an Anforderungen wachsen! Das begeistert mich noch heute. Da geht es nicht um Punkte.
Und der IGP-Sport ist wichtig für unsere Zucht. Im Rassestandard wird auch das Wesen unserer Hovawarte beschrieben: „Der Hovawart ist ein Gebrauchshund zur vielseitigen Verwendung.“ Unsere Hunde sollen triebstark, sicher und belastbar sein. Diese Qualitäten lassen sich nur im Schutzdienst überprüfen. Der Status als Gebrauchshund soll schließlich erhalten bleiben!

Wann hast du mit Hundesport angefangen?

Mit 14 Jahren bin ich in den Hundeverein eingetreten, mit 21 Jahren zur Wende in den RZV. Früher war die SchH (heute IGP) auch der einzige Hundesport, das Angebot ist größer geworden.

Was zeichnet denn einen für den Schutzdienst talentierten Hund aus?

Im Grunde genommen sind es die typischen Eigenschaften eines Gebrauchshundes. Er sollte in jeder Situation belastbar und einsetzbar sein, eine gewisse Härte mitbringen und Wesensfestigkeit. Und die Triebveranlagung muss da sein. Wir haben viele Hunde mit gutem Beutetrieb. Das ist über die Jahre immer besser geworden. Aus meiner Sicht haben in den letzten ca. drei Jahren Selbstsicherheit und Belastbarkeit unserer Hunde abgenommen. Um einer solchen Entwicklung entgegen zu wirken, soll dies in dem neuen freiwilligen Element der ZTP überprüft werden.

Es gibt verschiedene Trieblagen, in denen der Hund gearbeitet wird. Was ist der Unterschied zwischen Aggressionstrieb und Beutetrieb?

Vor 30 Jahren hat man noch über den Wehrtrieb ausgebildet. Ich hab´ früher auch so gearbeitet, das war halt so. Heute tun das nur noch die ewig Gestrigen. Aber die Erde dreht sich ja immer weiter. Der Beutetrieb ist schon beim Welpen vorhanden und prägt sich mit Reifung des Hundes weiter aus. Er kann durch Training gefördert werden mit dem Ziel, in der späteren Ausbildung den Arm des Helfers zu packen. Der Arm des Helfers soll hierbei nur das Beuteobjekt imitieren.
Der Aggressionstrieb ist eigentlich mehr ein Aggressionsverhalten, welches jeder Hund von Natur aus mitbringt und das trainierbar ist. Im Schutzdienst nutzen wir diesen, um dem Hund als Konkurrenz die Beute streitig zu machen. Das alles entspricht dem normalen Verhaltensrepertoire von Raubtieren. Wolfswelpen, junge Füchse werden so von den Eltern geschult. Die bringen Beute mit, erst klein, dann größer und wehrhafter. Unser Training ist ähnlich aufgebaut. Das Wechselspiel aus Beute- und Aggressionsverhalten zeichnet einen guten Hund im Schutzdienst aus.
Es ist immer schwierig, das will keiner hören: Aggression. Aggression ist als Begriff verpönt. Ein bisschen absurd ist das schon. Man weiß ja, dass Aggressionsverhalten zum normalen Spektrum menschlicher und hündischer Verhaltensweisen gehört.

Wann fängt man denn an mit dem Hund zu arbeiten, und was sind die ersten Schritte?

Mit dem Trainingsaufbau kann man Bücher füllen, da könnten wir eine Serie an Artikeln veröffentlichen. Das hängt vom Einstiegsalter ab. Bei meinen Welpen gucke ich schon in der vierten, fünften Woche, wie die mit der Beute spielen. Ich teste, wie sie auf Belastung reagieren, indem ich meine Hand von oben über den Kopf halte, usw.
Wenn die Welpen mit zwölf, vierzehn Wochen das erste Mal auf dem Hundeplatz kommen (zwei, drei Wochen sollten sie erst mal in der neuen Familie ankommen), dann teste ich mit der Reizangel, wie es um den Beutetrieb bestellt ist.
Danach sollen die Welpen den Hundeplatz kennen und schätzen lernen, dort mit dem Hundeführer spielen, und im Weiteren kann man schon Dinge üben wie das Verbellen oder das Hetzen nach einem Beuteobjekt (wie Lappen oder Ball). Man kann auch schon das Beißkissen zum Tragen geben, allerdings ist hier zu beachten, dass Zergelspiele nur vom Welpen ausgehen sollten.
Mit 7, 8, 9 Monaten sind die Zähne durch und sitzen fest im Kiefer. Dann kann auch die Arbeit mit dem Beißkissen weitergehen.

Warum keine Beißwurst?

Da fasst der Hund nur vorne zu. Wir wollen ja den vollen Zugriff mit dem ganzen Fang im Hetzarm sehen, den braucht es bei den Kräften, die gehalten werden sollen. Anfangs wird das Kissen auf Maulhöhe geführt. Der Helfer bietet dem Ausbildungsstand gemäß Paroli, das Gewinnen der Beute wird schwieriger. Das Aggressionsverhalten wird durch Reizen gefördert, und nach gebührender Anstrengung gewinnt der Hund.

Wie ist das mit dem Stock?

Das ist eine weitere Belastung die ich als Helfer dosiere. Wenn ich einen jungen Hund im Schutzdienst arbeite und den Stock als Belastung einsetze, achte ich zuerst auf die Mimik des Hundes. Je nachdem wie der Hund sich verhält, lege ich anfangs den Stock nur auf den Widerrist auf. Der Hund soll weiter festhalten, kontern, die Beute schütteln und lernen: Hält er die Belastung aus, wird er mit der Beute, also dem Hetzarm belohnt. Das ist der Prüfstein für Selbstsicherheit und Belastbarkeit.

Ihr bringt den Hund in hohe Trieblagen. Gehören auch die Impulskontrolle und das Runterfahren zum Training?

Unbedingt. Der Hund kann nicht nur wild gemacht werden. Auch mit unserer jungen Hündin üben wir, dass sie an lockerer Leine den Platz betritt und bei aller Vorfreude steuerbar bleibt. Wir verlangen viel von unseren Hunden. Der Hund soll revieren, druckvoll verbellen, sich nicht ablenken lassen und trotzdem auch in hoher Trieblage abrufbar bleiben. Ich rufe ihn ins Fuß, er muss sich konzentrieren und mich anschauen, sich prompt ins Platz legen und genauso zackig wieder umschalten auf die Beute. Das ist ein ständiger Wechsel. Da letztlich zeigen sich die Unterschiede im TSB: Trieb, Sicherheit, Belastbarkeit.

Wenn ich jetzt ein Prüfungsergebnis sehe, sagen wir mal, 293a, was heißt das?

Das ist hervorragend, 293 von 300 Punkten. Das „a“ steht für TSB ausgeprägt, ein Qualitätsmerkmal. Bei 250v heißt:das „v“: TSB war vorhanden, der Hund hatte Einschränkungen in den Bereichen. Für die Qualifikation zu einer Meisterschaft brauchst du im Schutzdienst mindestens 85a und eine Gesamtpunktzahl von 255a. Wir brauchen mehr Hunde mit TSB a für die Zucht. Die machen die Qualität unserer Hunde aus.

Was sollte der Hundeführer mitbringen?

Herzblut und Eigeninitiative. Zweimal die Woche auf den Hundeplatz fahren und den Helfer rackern lassen, während man selbst die Leine hält, das reicht nicht. Es gibt Hausaufgaben. Krafttraining für die Kiefermuskeln des Hundes, Nackenmuskeln müssen trainiert werden, usw.
Die Ausbildung des Hundes muss sich nach seinem häuslichem Umfeld und sonstiger Lebenssituation richten. Einen Hund, der mit ins Büro und alle Kollegen tolerieren soll oder um den den ganzen Tag kleine Kinder wuseln, den kann ich nur über Beutetrieb ausbilden. Morgens Schulhund und abends Schutzhund, das ist eher unrealistisch.
Man muss sich im Klaren sein: Der Hund wird eigenständiger und selbstbewusster. Das hat auch im Alltag Konsequenzen und die muss man händeln können.

Und woher weiß ich jetzt, wie ich mich da einbringe, statt nur die Leine zu halten?

(Lacht.) Interesse zeigen, Leute fragen, ein Buch lesen, das Team Heuwinkl veröffentlicht demnächst ein neues. Auf Seminare gehen und dann auch die Vorschläge zumindest ausprobieren. Es ist schon ärgerlich, wenn ich etwas Neues vorschlage, weil die bisherigen Versuche, dem Hund etwas beizubringen nicht erfolgreich waren, und die Leute dann trotzdem genau so weiter machen wie bisher. Ich helfe gerne. Selbst bei ZTPs hab ich immer meinen Anzug mit. Wenn also jemand sagt: „Hey, mit dem Hund komme ich so nicht weiter, kannst du mal schauen?“, dann bin ich dabei.

Und wie ist das mit den Helfern?

Ja, das ist nicht so ganz einfach. Wir haben im RZV eine gemischte Truppe, mit reinen RZV-Helfern, aber auch welchen, die vereinsübergreifend arbeiten. Der Austausch von Wissen und Erfahrungen untereinander hat noch Luft nach oben. Es wäre viel besser, wenn man sich untereinander mehr austauscht, als wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht. Nur so lernt man dazu. Allerdings ist hier meist die Entfernung der einzelnen Hundeplätze ein Handicap für einen regen Austausch. Man muss lösungsorientiert arbeiten, auf den einzelnen Hund eingehen. Da fühl ich mich gelegentlich wie der Prophet im eigenen Land. Und ja, die Helferschulung ließe sich noch weiter verbessern.
Aber auch bei den jungen Hunden fehlt es …. Ja, es wäre wichtig und wünschenswert, dass man bereits in der Rackergruppe, ab dem Alter von sechs Monaten, den Leuten sagt, pass auf, dein Hund ist talentiert für diesen oder jenen Sport. Da passiert zu wenig.

Stimmt, so sind wir zum Mantrailing gekommen. Ich fand das toll, dass jemand meinen Hund begabt fand.

Siehst du, das brauchen wir auch im IGP!

Gibt es gesundheitliche Risiken für den Hund?

Es ist wie bei jedem anderen Sport. Das Risiko einer Sportverletzung kann ich direkt beeinflussen durch vernünftiges, altersentsprechendes Training, guten Muskelaufbau, gutes Aufwärmen und Auslaufen. Der Hundeführer bekommt Hausaufgaben. Vom Trockenfutter etwa bekommt der Hund keine ordentliche Kiefermuskulatur. Der muss beißen üben, braucht auch mal einen Knochen oder Ochsenziemer. Oder am Kissen, das hängst du beispielsweise über eine Umlenkrolle am Ast vom Baum auf und bringst ihn durch Hochziehen der Beute auf die Hinterhand. So entsteht ein Wechselspiel zwischen vier und zwei Pfoten, dabei werden Backen- und Nackenmuskeln trainiert. Ohne starke Kiefer kann es sein, dass der Hund anbeißt und beim Ausdrehen des Helfers einfach aus dem Arm rutscht. Du kannst ja mal rechnen: Der Hund läuft mit 40 bis 45km/h auf den Helfer zu, wiegt 30 oder gar 40 kg, was das für Fliehkräfte sind. Der Hund braucht eine kräftige Nacken- und Rückenmuskulatur und eine stabile Hinterhand. Konditionstraining ist wichtig, und auch Sprungkraft für die Sprints. Und nicht nur in Coronazeiten kann und muss man einzelne Elemente alleine üben, das Verbellen, der Rücktransport. Beim Verbellen ist es wichtig, dass der Hund nicht nur auf die Beute guckt, sondern auch den Helfer (bzw. den Hundeführer) verbellt.  Er soll es ernst meinen. Dieses Dominanzverhalten will man sehen, es zeigt die Belastbarkeit, wie wir sie von einem Gebrauchshund erwarten. Überhaupt kommt mir die mentale Stärke, wie sie im Rassestandard beschrieben wird, zu kurz in unseren Zuchtprüfungen. Die Belastbarkeit wollen wir wie gesagt mit dem neuen Teil der ZTP stärker ins Visier nehmen.

Immer wieder hört man, dass Malis das alles besser können.

Ach, wer will, der soll sich einen Mali kaufen. Die lernen auch schneller als Hovawarte. Ich hab meine Hunderasse gefunden. Hovawarte können auch mal chillen, wenn ich abends auf dem Sofa sitze. Mit ´nem Malinois, wenn ich da die Beine andersrum überschlage, dann steht der schon hechelnd an der Tür. Wer’s braucht…

Vielen Dank, Heiko, für dieses Gespräch.


Lesen Sie zu diesem Thema auch Der Schutzdiensthelfer


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Süße Hovawart Hunde